25. September 2019

Strafen und Züchtigungen

Im übrigen wurde ich zu Hause öfter gestraft. In der Regel stellten mich die Eltern an die Ecke, wenn ich etwas angerichtet hatte. Aber von Zeit zu Zeit verfiel ich in eine Prügelstrafe, wenn meine Schuld besonders schwer war. Zum Beispiel lernte ich eines Tages Geld kennen. Das war in der Siedlung Anna, die etwa 100 Kilometer von der Stadt Woronezh entfernt liegt, wo ich mit der Mutter bei meinen Großeltern gastete. Zum erstenmal erfuhr ich, was Geld ist und was man damit tun konnte. Jetzt wusste ich, dass der Rubel eine große Summe ausmachte, und zwar bestand er aus 100 Kopeken. Und ich konnte damals nur von eins bis hundert zählen. Ein Tortelett kostete 22 Kopeken. Zum Preise von 1 Rubel konnte man eine Torte kaufen. Ich fasste den Entschluss, mir einen Rubel auf Biegen und Brechen zu verschaffen und eine Torte zu kaufen. Wo und wie konnte ich mir aber einen Rubel auftreiben? Mir fiel etwas ein. Ich kam zu den Nachbarn meiner Großeltern und sagte ihnen, dass meine Oma mich geschickt hatte, sie um 1 Rubel anzupumpen. Die Nachbarin gab mir das begehrenswerte Geldstück und ich begab mich zu schoppen. Endlich war eine prunkvolle Torte in meinen Händen. Nur in diesem Augenblick begriff ich, dass ich nicht imstande war, die ganze Torte einsam und allein aufzuessen. Ich bedaurte, dass ich den Leckerbissen nach Hause bringen und mit allen teilen nicht konnte. Ich biss in die Torte ein und leckte die Creme ab. Bald war damit übersättigt, denn sie war übersüss. Da konnte ich nur den Rest unter einem Strauch verstecken und langsam der Ungewissheit entgegen fortgehen. Es stellte sich heraus, dass alle zu Hause schon hinter die Wahrheit gekommen waren. Die Nachbarin hatte mich durch das Fenster gar nicht nach Hause mit ihrem Rubel gehen gesehen. Dann war sie selbst zur Oma gekommen und hatte ihr alles mitgeteilt.

Mutti brachte mich rasch zum Geständnis. Das war mein erster Betrug, danach auch meine erste Prügelstrafe folgen sollte. Vor allem wurde ich von der Mutter kräftig ausschimpft. Dann führte sie mich in ein dunkles Zimmer, legte mich auf ihre Knien und versohlte mir tüchtig den Hintern. Ich kreischte und wand mich vor Schmerzen wie ein Aal. Meine Vetter sahen mir heimlich mit Neugier zu. Endlich war sie Strafe zu Ende. Obzwar ich noch schluchzte, zürnte ich auf die Mutter nicht, weil ich mich meiner Schuld bewusst war. Ich trug ihr keine Kränkung nach. Ich atmete erleichtert auf, denn niemand ärgerte sich mehr über mich. Diese Lehre saß und wurde mir von dauerndem Nutzen sein.

Gegenwärtige Humanisten würden solche körperliche Züchtigung als eine brutale Misshandlung mit dem Kind definieren. Sie könnten meine Mitti das Sorgepflicht entziehen, uns voneinander scheiden lassen und mich in eine Fürsorgeanstalt eindosen, wo nachts wölfische Gesetze des Dschungels herrschen und wo der stärkste wirklich misshandeln und brutal ins Gesicht verprügeln kann, um nur seine Gewalt zu bekräftigen. Aber ich verneige mich tief vor meiner Mutti und danke ihr innig dafür, dass sie mich grenzenlos liebend solche wirksame Wirkungsmittel in Anspruch nahm.

Ich habe schon viel aus meiner Kindheit vergessen. Aber jene bittere Lehren sind unvergesslich und unauslöschlich geworden. Und so paradox es anmuten mag, rufen sie nur große Dankbarkeit heraus.


P.S. Nach dem Lesen hat eine Leserin geschrieben: «Kloppe, Prügel. Ist sehr interessant, habe aber nicht verstanden, wozu man das braucht, sorry». Ich habe ihr geantwortet: «Vielleicht um jemanden vor etwaigem Gefängnis zu retten. Jeder notorische Dieb beginnt einmal, meistens von Kind auf, zum ersten Mal zu stehlen und hat dabei keine Ahnung, wie gefährlich es für sein Schicksal werden kann. Natürlich, es ist besser nur überzeugende Worte zu benutzen, um das Kind zu erziehen, falls sie helfen. Jede Straflosigkeit führt zum lockeren Leben, zu einer leichtsinnigen Denkweise und letztlich zum Gefängnis, wo viel schrecklicher Gewalt herrscht. Ich propagiere keinesfalls Körperstrafen, doch rechtfertige ich die Erziehungsmethode meiner Eltern und bestätige erfahrungsmäßig, dass sie mir zu keinem Nachteil gereicht hat.»

Prügelstrafe kann ich mit einer schweren chirurgischen Operation vergleichen. Wozu braucht man chirurgische Operationen? Um das Leben einem kranken Patienten zu retten. Nicht wahr? Das ist gefährlich. Postoperative Wunden tun weh. Komplikationen können entstehen. Aber meistens hilft das und führt zur Genesung. Auch die Kloppe von liebenden Eltern kann zur geistlichen Genesung führen, ohne dem Kind Schaden zuzufügen.

Ein chirurgischer Eingriff ist eine Notlösung, eine durchgreifende Maßnahme, die nur als die letzte Auswahl, nur im schlimmsten Falle verwendet wird. Ebeso zu einer Prügelstrafe darf man nur als zum letzten Ausweg, zu den äußersten Maßnahmen greifen. Mindestens durfte man in der UdSSR.